Julia Witt im Interview mit dem Vorstand des Netzwerks „gov 2.0“ Frau Antje Matten und Herr Christian Lorenz


Julia Witt für die Guten Nachrichten – Nummer 160 /2010

Julia Witt:
1. Ihr kümmert Euch als Netzwerk gov2.O um das Thema Offene Verwaltung und Teilhabe der Bürger. Was ist für den Verein die Motivation für dieses Engagement?

Antje Matten &  Christian Lorenz: Unser Engagement hat im letzten Sommer nicht als Verein sondern als ehrenamtliches Organisationsteam des ersten deutschen BarCamps (Teilnehmer bestimmte „Un-Konferenz“) zu Government und Web 2.0 angefangen. Die Zusammenarbeit im Team und die Resonanz der Besucher waren im August 2009 so super, dass wir einfach weiter machen mussten. Wir haben dann im September 2009 den Verein Government 2.0 Netzwerk Deutschland www.gov20.de gegründet. Der Verein ist eine offene Organisations-und Kommunikationsplattform, die sich der Förderung und Umsetzung von Ideen, Innovation und Projekte im Bereich von Politik und Verwaltung verschrieben hat. Unsere ehrenamtlichen Gov20-Netzwerker sind allesamt Enthusiasten, die daran glauben, dass wir gemeinsam Politik und Verwaltung in Deutschland zu zeitgemäßer, interaktiver und direkter Kommunikation, Partizipation und Kollaboration verhelfen können.

Wir füllen dabei eine sehr wichtige bislang unbesetzte Stelle aus, weil wir als Bindeglied zwischen der Social Media Szene und zivilgesellschaftlichem Engagement auf der einen und Politik und Verwaltung auf der anderen Seite agieren. In gewisser Weise sehen wir uns somit auch in einer „Übersetzer“-Funktion und hoffen, den Austausch zwischen beiden Welten fördern zu können.

Julia Witt:
2. Am  30. September und 1. Oktober wollt Ihr mit einem Barcamp 2010 an die guten Erfahrungen vom letzten Jahr anknüpfen. Wer ist Zielgruppe und warum sollte man/frau dahin ?

Antje Matten &  Christian Lorenz:
Ja, 2009 war eine großartige Premiere! Wir haben mit ca. 400 Teilnehmer in mehr als 30 Workshops praktische und auch theoretische Fragen rund um Partizipation und Kollaboration in Politik und Verwaltung gedanklich „beackert“. Wir haben das Für und Wider von Wikis als Wissensmanagement-Tool oder Erfolgskriterien von elektronischer Bürgerbeteiligung diskutiert und gemeinsam neue Projekte geplant. Wir hatten im letzten Jahr eine richtig gute Teilnehmer Mischung aus der Verwaltung von Bund, Ländern und Kommunen, aus Unternehmen, aus Social Media Startups, aus NGOs und aus der Wissenschaft. Da wollen wir am 30. September und 1. Oktober anknüpfen und sogar noch einiges besser machen. Dem Feedback der Teilnehmer aus dem letzten Jahr entsprechend haben wir das Camp verlängert. Wir starten am 30. September mit einer Einführung in die Themen Government 2.0, Partizipation und Open Data und gehen dann in einen Networking Abend über. Für den 1. Tag konnten wir bereits eine ganze Reihe guter und praxisorientierter Referenten gewinnen. Am 1. SOktober gibt’s dann das BarCamp. Auch in diesem Jahr wünschen wir uns eine so bunte Teilnehmer- und Themen Mischung wie im letzten Jahr.

Jede und jeder Interessierte kann eigene Workshopthemen vorschlagen. Infos und auch Tickets für das Camp gibt auf unserem Blog www.gov20camp.de

Julia Witt:
3. Die Vertreter der demokratisch gewählten Parteien haben auf allen Ebenen Mühe, sich effizient und sachlich zu Entscheidungen durchzuringen. Meist stehen taktische Erwägungen, persönliche Kränkungen und kurzfristige Wahltaktik hinter vielen Äußerungen.

Welchen Sinn macht es, da mit viel Aufwand und Technik jetzt noch die eher wenig interessierten Bürger noch mit einzubeziehen?

Antje Matten &  Christian Lorenz:
Da müssen wir energisch widersprechen. Die Bürger sind nach unserer Erfahrung an aktuellen Themen aus Politik und Verwaltung interessiert, allerdings sind sie z. T. müde von einer recht langweiligen nicht ernst gemeinten, technisch schlecht gemachten Ansprache durch viele Politiker. Der ganze Social Media und Obama Hype zeigt, wie interessiert und engagiert viele Menschen sind. In Deutschland haben wir auch schon richtig tolle Partizipations-Beispiele: z. B. die Online-Petitionen des Bundestages https://epetitionen.bundestag.de

Im Mai 2010 startete eine Petition des Deutschen Hebammenverbands, die bereits nach drei Tagen die für eine sichere öffentliche Sitzung des Bundestags Ausschusses erforderliche Anzahl von 50.000 Unterstützer/innen erreichte. Die Petition richtete sich gegen die steigenden Haftpflichtprämien und die allgemeine schlechte Bezahlung von freiberuflichen Hebammen und erreichte mehr als 186.000 Mitzeichner.

z. B. Bürgerhaushalte (www.buergerhaushalt.org ):
Am Online-Bürgerhaushalt der Stadt Köln https://buergerhaushalt.stadt-koeln.de ) haben sich im letzten Jahr rund 10.000 Kölnerinnen und Kölner beteiligt und mehr als 1.250 konkrete Vorschläge zum Einsatz des Budgets abgegeben. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Beispiele. Da könnten wir fast eine neue Rubrik in den Guten Nachrichten einrichten 😉

Was die Anspielung auf Aufwand und Technik in der Frage angeht, können wir nur sagen: Es war noch nie einfacher und günstiger, Beteiligung technisch umzusetzen. Zahlreiche kostenlose Tools oder auch Open Source Software helfen bei der Umsetzung. Deshalb wollen wir u.a. auf dem BarCamp zeigen, wie jede Verwaltung Online-Beteiligung selber machen kann.

Julia Witt:
4. Glaubt Ihr wirklich, dass Projekte zur Förderung von Transparenz und Teilhabe im Internet sich über die Profitinteressen vom Firmen und Machtinteressen von Staaten hinwegsetzen können ?

Antje Matten & Christian Lorenz:
Mit dem Government 2.0 Netzwerk wollen wir moderne zeitgemäße Kommunikation und Kooperation zwischen Politik / Verwaltung und Gesellschaft fördern. Unser Ziel ist  „Open Government“ in Deutschland. Dazu gehört neben mehr demokratischem Diskurs für uns auch mehr Transparenz. Den Bereich Transparenz gehen wir derzeit gemeinsam mit unserem Partner dem Open Data Network an. Andere Länder wie die USA, Großbritannien, Finnland, Kanada und andere machen uns vor, wie die Online-Veröffentlichung von bereits bestehenden Daten der Verwaltung zu mehr Transparenz, zu mehr Innovation und wirtschaftlichen Mehrwerten führen kann. In diesen Ländern wurden Ideen-Wettbewerbe durchgeführt, um die besten Applikationen (Apps) zur Visualisierung oder Auswertung dieser Daten zu finden. Es haben sich jeweils viele freie Entwickler beteiligt und tolle Apps entwickelt, z. B. zur Visualisierung der Verteilung des Haushaltsbudgets (in welche Themen – Bildung, Umwelt, Verkehr… – fließt wie viel Geld) oder zur Anzeige der öffentlichen Grillplätze in einer Stadt. Alle diese Apps4Democracy Wettbewerbe haben einen ROI erreicht, also jeweils deutlich mehr „Gewinne“ eingebracht als sie gekostet haben. Das Format funktioniert so gut, dass es das mittlerweile auch als Apps4Africa gibt. Derzeit sind wir mit verschiedenen Städten im Gespräch, um diese Potenzial für Deutschland zu fördern.

Julia Witt:
5. Noch ein kleiner Appetitmacher: Welche guten Beispiele für gelungene Projekte in Deutschland gibt es und welche werden sich auf dem Camp vorstellen ?

Antje Matten & Christian Lorenz:
Die Teilnehmer können sich auf ein reichhaltiges Programm mit Beispielen aus der der deutschen und internationalen Praxis, mit Beispielen für Tools und Software, mit neuen Themen und Ideen und jede Menge Raum fürs Networken sowie persönlichen Austausch freuen. Wir haben u.a. die Macher des Bürgerhaushalts Köln, unsere Partner vom Open Data Network, Wissenschaftler vom Fraunhofer Fokus sowie der Willy Brandt School of Public Policy an Board.

Aus den Guten Nachrichten Nummer 160
www.die-guten-nachrichten-aus-berlin.de

Links zum Thema :
http://www.gov20.de

http://www.gov20camp.de/