Neuer Jugendmedienschutzstaatsvertrag = fachlich inkompetent, juristisch verwirrend, psychologisch katastrophal Berliner Unternehmerverband fordert die Politik auf, Jugendschutznovelle umgehend auszusetzen


Pressemitteilung vom 06.12.2010 | 11:11
Pressefach: SIBB e. V.
Berlin – Die Internetspezialisten im IT-Branchenverband SIBB e. V. – http://www.sibb.de/ – kritisieren die Novelle des Jugendmediendienstestaatsvertrags (JMStV) als völlig unausgegoren. Die Internetunternehmer in der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg halten das „Gesetz“ für fachlich inkompetent, juristisch verwirrend und psychologisch katastrophal. Der IT-Branchenverband am größten IT-Standort Deutschlands widerspricht damit der Position von BITKOM-Vertretern. Der Unternehmerverband der Digitalen Wirtschaft in Berlin und Brandenburg fordert die Politik auf, die Novelle umgehend auszusetzen und im Interesse der Rechtssicherheit den bisherigen Jugendmedienschutz aus dem Jahr 2003 beizubehalten.

Stefan Zorn, Vorstandsmitglied des IT-Branchenverbandes SIBB e. V.:

„Der Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien besitzt eine lobenswerte Intention. Die praktischen Richtlinien lösen bei Webunternehmern, Netzjournalisten und Juristen jedoch pures Kopfschütteln aus. Wer sich die Vorschriften durchliest kommt zu dem Ergebnis, dass sich vermutlich „Offliner“ mit sozialpädagogischem Background damit beschäftigt haben, den Schutz von Kindern und Jugendlichen in die offen-vernetzte Welt zu überführen. Dieser Versuch ist fachlich, juristisch und psychologisch nach hinten losgegangen. Der JMStV schießt mit vollen Kanonen auf harmlose Spatzen. Die Medienkompetenz der Macher wird von uns mit der Schulnote 6 bewertet.“

Peer-Martin Runge, Geschäftsführer des IT-Branchenverbandes SIBB e. V.:

„Sollten die Regelungen kompromisslos umgesetzt und kontrolliert werden, kostet die Steinzeitdenke Unternehmern im Web viele Stunden sinnloser Zeit und damit betriebs- und volkswirtschaftlich nicht abschätzbare Kosten. Geschäftstüchtigen Rechtsanwälten eine neue Einnahmequelle zu ermöglichen, erinnert an die Steuerprivilegien für die Hotellerie. In Zeiten von Twitter, Facebook und YouTube katapultiert die deutsche Politik mit Dinosauriern in Ausschüssen und Amtstuben das Web „Made in Germany“ in die Wüste. Seitenbetreiber werden in einem Netz ohne Passkontrolle im Zweifelsfall ihre Angebote im Ausland hosten. Der Staatsvertrag ist unter dem Strich genauso „innovativ“, wie der demonstrative Austritt von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner aus Facebook.“ Die erforderliche Alterskennzeichnung und die zeitliche Beschränkung für alle Netzinhalte halten die Internetfachleute des IT-Branchenverbandes für einen misslungenen Versuch, Regeln aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ins Netz zu übertragen. Mit der Angst vor Augen, Kinder und Jugendliche könnten versehentlich auf YouPorn + Co. treffen, stülpen die Gesetzesmacher sozialpädagogische Vorstellungen der 50er, 60er und frühen 70er Jahre allen Internetanbietern über. Die Kollision mit dem Telemediengesetz (TMG) und der EC-Richtlinie zeigt, dass der Staatsvertrag am grünen Tisch zusammengeschrieben wurde.

Die Technologiespezialisten warnen zugleich vor einer Panikmache in der Web-Commnunity, da die meisten Blogs laut Juristen des SIBB e. V. unter tagesaktuelle Nachrichten bzw. gesellschaftlich relevante Inhalte fallen und damit schützenswerter Onlinecontent sind. Für einen Großteil der Politik-, Technologie- und Themenblogs wird sich nach Ansicht der Fachleute nach dem 1. Januar 2011 nichts Wesentliches ändern. Zudem wird die Technik für erforderliche Zugangsbeschränkungen aus Sicht der IT-Anbieter aller Voraussicht nach schnell und einfach in Content-Management-Systeme, Portal-Software oder Blog-Software integriert werden können.

Die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg

Fast 4.000 Unternehmen der Digitalen Wirtschaft bieten in der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg Consulting, Software und Services an. Mehr als 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter optimieren Geschäftsprozesse, installieren, warten und pflegen IT-Systeme für Wirtschaft und Verwaltungen und bieten Produkte und Services im offen-vernetzten Web an. Laut aktueller Studie „Wachstumschancen für Berlin“ des DIW zählt die IT-Industrie der Hauptstadtregion auf Grund ihrer positiven Beschäftigungsentwicklung zu den zukunftsweisenden Wachstumsbranchen.

Der IT-Branchenverband SIBB e. V.
Der SIBB e. V. ist der IT-Branchenverband der Hauptstadtregion. Er vertritt die unternehmerischen Interessen vornehmlich mittelständischer Hersteller und -Dienstleister der Digitalen Wirtschaft gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Verband ist Partner und Dienstleister der regionalen Unternehmen und vernetzt die Branche. Ziel des SIBB ist die Entwicklung Berlin-Brandenburgs zu einer der innovativsten und erfolgreichsten Technologie-Regionen Deutschlands. Weitere Informationen unter http://www.sibb.de/.

Weiterführende Links:
Schlussfassung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages:

Klicke, um auf Synopse_JMStV_final.pdf zuzugreifen

Pressekontakt: IT-Branchenverband SIBB e. V.
Thomas Keup, Pressesprecher Tel. 030 / 23 18 57 18, 0171 – 4 18 00 84
thomas.keup@sibb.de

Weitere Verbandsmeldungen und Aktuelles unter http://www.netzpolitik.org/2010/gesellschaft-fur-informatik-fordert-stopp-des-jmstv/

Antwort des Fraktionsvorsitzenden der Linken Berlin, Udo Wolf, an die Unterzeichner des Briefes zum Thema #JmStV


Fraktion Die Linke im Abgeordnetenhaus von Berlin ● Niederkirchnerstr. 5 ● 10111 Berlin

An die Unterzeichner
über
Constanze Kurz
presse@ccc.de

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie haben sich mit einem offenen Brief an die Koalitionsfraktionen im Berliner
Abgeordnetenhaus gewandt und diese aufgefordert, dem 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrag bei der parlamentarischen Abstimmung nicht zuzustimmen. Im Namen der gesamten Fraktion Die Linke möchte ich Ihnen gerne antworten. Wir stimmen mit Ihnen in der Bewertung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) überein. In unserer Fraktion besteht Einigkeit darüber, dass diese Form der Regulierung des Internetangebots keine zeitgemäße Antwort auf die Herausforderungen des Jugendschutzes in der digitalen Welt darstellt. Im Gegenteil – die Übertragung von Mechanismen des Jugendschutzes aus dem Rundfunk auf das Internet wird aus unserer Sicht eher schaden als nützen. Es ist offensichtlich, dass die Urheber des Vertrags die Eigenheiten des Internets als grenzenloses und dynamisches Medium völlig außer Acht gelassen und sich auch nicht mit dem breiten Diskurs in der Netz-Community auseinandergesetzt haben. Deshalb teilen wir Ihre Kritik und lehnen den Staatsvertrag inhaltlich ab.

Was das Abstimmungsverhalten im Parlament angeht, wird es allerdings komplizierter. Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Die Linke ist festgeschrieben, dass grundsätzlich einvernehmlich abgestimmt wird. Insofern ist eine Ablehnung des 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrags am 9. Dezember nur möglich, wenn sich auch die SPD-Fraktion für eine Ablehnung entscheidet. Zurzeit befinden wir uns noch in Verhandlungen und versuchen, den Koalitionspartner dazu zu bewegen, dem JMStV nicht zuzustimmen. Dass es überhaupt zu dieser Situation gekommen ist, hat nicht zuletzt mit der wenig demokratischen Art und Weise zu tun, wie solche Staatsverträge zustande kommen. Wie Sie in Ihrer Pressemitteilung treffend bemerkt haben, wurde der 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrag von den 16 Ministerpräsidenten ohne Einbeziehung der Landesparlamente verhandelt und bereits unterzeichnet. Auf den Inhalt des Vertrags hatten wir als Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses keinen Einfluss.

Den Abgeordneten bleibt am Ende nur, den Vertrag „abzunicken“ oder ihn als Ganzes abzulehnen. Zu letzerem wären wir bereit, der Preis hierfür wäre allerdings – sofern wir keine Einigkeit mit der SPD erzielen – ein Bruch des Koalitionsvertrags, was die rot-rote Regierungsarbeit in Berlin insgesamt in Frage stellen würde. Wir sind uns bewusst, dass nun hohe Erwartungen an die Landesparlamentarier gestellt werden. Wir bitten Sie aber auch darum, sich die politischen Kräfteverhältnisse in dieser Frage bewusst zu machen. Es ist deshalb sinnvoll, wenn viele der Betroffenen und Interessierten sich an den Regierenden Bürgermeister und an die Abgeordneten der SPD-Fraktion wenden. Dies wird uns in den Verhandlungen mit dem Koalitionspartner zu unterstützen.

Mit freundlichen Grüßen,
Udo Wolf
Fraktionsvorsitzender
3. Dezember 2010
wolf@linksfraktion-berlin.de

Berliner Linke spielt den Ball des #JmStV zur SPD


Beim gestern abend tagenden Landesvorstand der Linken Berlin hat der Fraktionsvorsitzende Udo Wolf betont, dass sich die Fraktion und die Partei mit der linken Netz-Community einig sind, dass dieser Vertrag schlecht ist, und er deshalb inhaltlich abgelehnt wird. Der SPD-Fraktion Berlin ist mitgeteilt worden, dass die Linksfraktion sofort bereit ist, nicht zu ratifizieren, wenn die SPD oder der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit davon Abstand nehmen.
#jmstv #linke #berl